Ihr kennt diese Diskussion alle und vielleicht hängt sie euch auch schon lange zum Hals heraus. Sie kommt nach jedem Amoklauf erneut auf und ist in Politik und Alltagsleben eines Zockers allgegenwärtig: Was dürfen Videospiele und wo hört der Spaß auf? Irgendwie wirkt diese Frage makaber, denn leben wir nicht in einer aufgeklärten und liberalen Gesellschaft? Wie können es unsere konservativen Gesetzesgeber auch nur wagen, Medien aufgrund ihrer Neuheit im Vornherein zu verurteilen? Ich werde im Folgenden eine Diskussion führen die dem ein oder anderen von euch sicherlich helfen kann, wenn er einmal wieder mit dem Thema konfrontiert wird. Doch will ich direkt klar stellen, dass ich diesen Text nicht als Zocker, sondern als über beide Positionen aufgeklärter Author verfasse. Erwartet also nicht, dass ich Spiele zu Unrecht verteidige, doch dazu später. Um einen angemessenen Einstieg zu ermöglichen, hier eine Erläuterung der Situation:
Gerade im Zuge der jüngsten Amokläufe sind Videospiele ins Visier der Politiker geraten. Es besteht kein Zweifel daran, dass manche Spiele Gewalt realistisch und/oder übertrieben darstellen. Hier besteht jedoch direkt das erste Risiko: Darstellung ist nicht gleich Verherrlichung. Wenn ich in Counter Strike einen Terroristen davon abhalte eine Geisel zu erstechen indem ich ihn erschieße ist das keineswegs Gewaltverherrlichung. Wenn ich als Terrorist ein Mitglied der Spezial-Einheit erschieße ist das auch keine Gewaltverherrlichung. Es knallt und mein Gegenüber kippt um, je nach Version ist nichteinmal Blut zu sehen. Für viele Politiker handelt es sich hierbei jedoch um ein brutales Massaker, das lediglich einem Zweck dient, nämlich den Spieler zu einer Kampfmaschine auszubilden. Dass dies jeglicher Grundlage entbehrt wissen nicht nur die Spieler, sondern auch die Politiker selbst. Wie überzeugt man also ahnungslose Eltern und harmlose Bürger? Das ist eigentlich ganz leicht, man muss nur in der Geschichte suchen: Deutsche Politiker sind sehr erfahren darin, Angst zu schüren und Hass auf Sündenböcke zu übertragen, welcher geschichtliche Vorfall damit gemeint ist darf sich jeder selbst zusammenreimen. Aus dieser Tradition haben auch Günther Beckstein und Konsorten gelernt, hier eine Kostprobe:
"Das Spiel Counter-Strike wurde von der US-Army entwickelt, um die Gewaltschwelle bei den Soldaten herabzusetzen. Derartige Spiele gehören nicht nur zensiert, sondern verboten."
Herrlich, nicht wahr? Valve ist die US-Army, Spaß haben heißt jetzt „Gewaltschwelle herabsetzen“, der Nacktscanner heißt Körperscanner und Korruption bezeichnet die FDP als „Fördergelder“ oder „Sponsoring“. Aber zurück zur CSU. Es ist wirklich erschreckend wie dieser Mann lügen kann. Gut, von der CSU hätte man nicht viel anderes erwartet, aber es kommt noch besser: Die Medien machen freudig mit! Viele werden sich noch an die Aktion vom Aktionsbündnis Amoklauf Winnenden erinnern, bei dem in der Stuttgarter Innenstadt ein Container aufgestellt wurde, in den Zocker ihre „Killerspiele“ werfen sollten um ein Zeichen zu setzen. Diese Aktion, an Absurdität kaum zu überbieten, scheiterte wie zu erwarten kläglich. Ich zitiere folgend von der Internetseite der süddeutschen Zeitung:
„Bis zum frühen Nachmittag hatten vor allem Jugendliche etwa zwei Dutzend Computerspiele wie das umstrittene Counter-Strike in einen Müllcontainer geworfen.“
Bevor ich zu den tatsächlichen Zahlen komme, kurz eine Anmerkung: Die Aktion war auf zehntausende Spiele ausgelegt, zumindest lässt die Container-Größe darauf schließen.
Hätten die Damen und Herren der oben genannten Zeitung mal in den Container geguckt, hätten sie gemerkt, dass ganze drei (!) Speiel „entsorgt“ wurden. Eines davon wurde von der Piratenpartei mitgebracht, um den Veranstaltern der Aktion zu zeigen, was ein wirkliches Killerspiel sei. Bewusste Fehlberichterstattung ist ein durchaus akzeptiertes Instrument gegen das Medium Videospiel.
Irgendetwas muss aber dennoch an der Geschichte mit dem bösen Spiel sein, sonst wäre sie nicht so populär. Das am häufigsten unter Beschuss genommene Schiess-Spiel ist wahrscheinlich das bereits oben genannte Counter Strike. Die Tatsache, dass die deutsche Verkaufsversion von Counter Strike gewaltverherrlichend sei, ist ein Mythos der wahrscheinlich lediglich auf der Popularität des Spiels beruht. Da das Spiel quasi bei jedem Action-Liebhaber zu finden ist, war es auch in den Sammlungen von Amokläufern zu finden. Die berühmte Aussage stimmt also doch im Kern: „Alle Amokläufer haben vor ihrer Tat Wasser zu sich genommen, lasst uns Wasser verbieten!“
Woher stammt dieser inzwischen makabererweise in Mode gekommene, pauschalisierende Hass auf Videospiele? Dazu kann ich persönlich nur Vermutungen aufstellen:
Auf mich wirkt das ganze wie eine Art Ausrede. Das System ist einfach und wird häufig verwendet, sei es bei religiöser Verfolgung oder bei Medien-Hass. Wenn es Probleme gibt braucht die Öffentlichkeit einen Schuldigen. Da in diesem Fall die Schuld jedoch bei den Betroffenen und bei der Öffentlichkeit liegt, schieben diese die Schuld ganz einfach auf etwas anderes, in diesem speziellen Fall Videospiele. Wieso kommt denn bitte niemand auf die Idee, dass der Amokläufer von Mitschülern und Lehrern in den Wahnsinn getrieben wurde? Warum kommt keiner auf die Idee, dass die Eltern in der Erziehung versagt haben? Ihre Aufgabe wäre es letztendlich ja auch gewesen, zu kontrollieren, was ihr Kind da am PC spielt. Die Antwort auf diese Fragen liegt auf der Hand: Niemand beschuldigt sich gerne selbst. Man stelle sich nur die Situation nach einem Amoklauf vor. Alle sind traumatisiert und man braucht schnellstmöglich eine Erklärung. Soll ich dann als Außenstehender zu den Eltern der Betroffenen gehen und sagen: „Tja, da sieht man mal wieder was Inkompetenz in der Erziehung bewirkt.“? Viel Spaß an den, der wirklich so handeln würde. Das Thema ist bis heute ein Tabu in unserer Gesellschaft, denn egal wie viel Tod und Leid die Bundeswehr in Afghanistan verursacht, innerhalb Deutschlands darf es sowas nicht geben. Wir können uns nicht zugestehen, für unser Leid selber die Verantwortung zu tragen. Die nächste und beste Möglichkeit um jemanden zu beschuldigen findet sich immer im Neuen und im Unbekannten. Nein, Videospiele sind kein klassisches Medium und genau deshalb anfällig für Kritik. Als das Kino neu war, wurde auch dieses verteufelt. Würde ich heute unserem geschätzten Herrn Beckstein erklären, dass die Kartoffel die Frucht des Teufels sei und Fahrten mit der Eisenbahn ab 30 KM/H das Gehirn zum Platzen bringen würden, so würde der mich auch für verrückt erklären – zumindest hoffe ich das, was ich befürchte will ich hier lieber nicht schreiben.
Doch wie zu Anfang bereits gesagt will ich mich auf keine Seite schlagen. Denn die Kritik ist nicht ganz unberechtigt, zumindest seit den jüngsten Ereignissen nicht mehr. Es ging ein Aufschrei durch die Spielergemeinde, als Call of Duty: Modern Warfare 2 erschien. Viele Magazine verweigerten die Wertung wegen einer einzigen Szene. Ihr wisst wahrscheinlich längst welche Szene gemeint ist, für diejenigen die nicht bescheid wissen will ich das ganze kurz erläutern:
Ihr spielt Seite an Seite mit einer Gruppe russischer Terroristen. Ihr befindet euch in einem Aufzug und hört Stimmen einer Menschenmenge. Die Türen des Aufzugs öffnen sich und eure Kollegen gehen seelenruhig in die Flughafen-Halle vor euch. Sie stellen sich auf und fangen an, die wehrlosen Zivilisten brutal nieder zu metzeln. DAS ist Gewaltverherrlichung und genau diese Stelle wird uns in Zukunft noch viel Kopfzerbrechen bereiten. Denn sie nimmt der Spielergemeinde das Argument, das sie bisher immer gerettet hat: „Es ist nicht so schlimm wie ihr es immer darstellt.“ CoD bricht mit dieser Szene ein ungeschriebenes Entwickler-Gesetz, zumal die Szene für das Spiel absolut nicht notwendig ist. Der Erfolg spricht für das Spiel und auch gerade wegen des Erfolgs macht sich CoD unbeliebt. Die Flughafen-Szene wirkt wie ein geschmackloses Propaganda-Mittel und überspannt den Bogen definitiv. Wollten die Entwickler unbedingt nochmal die Brutalität der Reihe toppen? Modern Warfare 2 ist gespickt mit kaltblütigen Gewaltszenen die teils keinen Sinn machen und verrät damit im Prinzip all diejenigen, die bisher für die Call of Duty-Reihe die Fahne geschwungen haben und das Medium Videospiel verteidigt haben. Ich will mich nicht zur Qualität des Spiels an sich äußern, aber an dieser Stelle gebe ich den Kritikern Recht. Wobei ich dies auch nicht uneingeschränkt tue, denn es ist doch fraglich, warum ein Videospiel keine Tabus brechen darf. In Film und Fernsehen werden bereits in Vorabendkrimis und Gerichtssendungen schamlos jeden Tag solche Tabus gebrochen, vom Nachtprogramm garnicht zu sprechen. Noch schlimmer ist das, was sich Literatur schimpft. In der Schule werde ich durch den Staat sogar dazu verpflichtet, mir Gewalt- und Vergewaltigungs-Orgien anzutun, wenn ich mich weigere werde ich per Note 6 gesellschaftlich geächtet. Was ist am Jungen, der im Kornfeld zusammengeschlagen und missbraucht wird besser, als am Terroristen, den ich im Videospiel vom Morden abhalte? Der Vorwurf, Videospiele seien durch die Bank Shooter und würden in ihren Stories nur Gewalt als Lösungsmittel kennen, ist sowieso unhaltbar und eine weitere Propaganda-Lüge. So sehr ich Green Day liebe – aber warum darf Billie Joe Armstrong im Fernsehen „Sieg Heil!“ schreien, wenn Wolfenstein nichtmal von Nazis sprechen darf, ohne direkt im Medien-Kreuzfeuer zu landen? Was deutsche Gangster-Rapper teilweise abliefern, überschreitet ja schon die Grenze von Volksverhetzung und Sexismus sowie Rassismus.
Neben der Gewalt ist auch das Thema Sexualität eines, das für viel Gesprächsstoff gesorgt hat. Denken wir nur mal an Mass Effect. Dieser Streitpunkt ist jedoch nur in Amerika wirklich populär, hier in Europa beschwert sich derweil niemand.
Ein wirklich gutes Videospiel kann man durchaus als die komplexeste und anspruchsvollste Form der modernen Kunst bezeichnen. Bis das Medium Videospiel jedoch als Kunst anerkannt wird, werden uns PR-Märchen, Pseudo-Argumente und lange Diskussionen weiter begleiten. Hoffentlich bleiben uns bis dahin Ausrutscher wie die Flughafen-Szene erspart, denn sowas kann weder die Spiele-Branche, noch die Gesellschaft gebrauchen, sei es auch ein noch so effektiver und verlockender Kommerz-Trick.
Ich hoffe euch hat dieser längere Artikel gefallen und nicht abgeschreckt. Bei Diskussionsbedarf: Nutzt das Forum!
Euer
-Raptor-